Endlich Lehren aus Grenfell ziehen

Übersetzung des Beitrags von Darryl Matthews in „The Spectator“, London vom 26.11.2020
26. November 2020

Behauptungen, dass brennbare Dämmstoffe den Brandverlauf im Grenfell Tower nicht beeinflusst hätten, sind falsch und gefährlich.

Grenfell Tower (Intersect Architects Ltd. and Gilltown Ltd)
Bildrechte: Intersect Architects Ltd. and Gilltown Ltd

In den letzten Wochen haben Hersteller von Baumaterialien, die im Grenfell Tower zum Einsatz kamen, Erklärungen zur Rolle der Fassadenbekleidung und -dämmung im tragischen Juni 2017 abgegeben. Wie sich Materialien bei einem Brand verhalten, ist eine sehr technische Frage. Aber sie ist wichtig, um eine Antwort darauf zu finden, warum sich das Feuer am Grenfell Tower so schnell nach oben und seitlich ausbreiten konnte. Die dazu gewonnenen Erkenntnisse werden uns darüber Aufschluss geben, wie wir in Zukunft Gebäude bauen und renovieren müssen, damit dies nie wieder geschieht.

Eine Behauptung, die im Zusammenhang mit der Untersuchung vorgebracht wurde, lautet, dass das „Ergebnis des Brandes in keiner Weise anders gewesen wäre“, wenn eine nicht brennbare Dämmung statt einer brennbaren am Gebäude verwendet worden wäre. Diese Behauptung ignoriert die Fakten und verschweigt grundlegendes Wissen darüber, wie sich brennbare und nicht brennbare Dämmstoffe verhalten.

Brennbare Dämmstoffe, wie sie im Grenfell Tower zum Einsatz kamen, können bei einem Gebäudebrand eine wichtige Rolle spielen. Vor allem ist Kunststoff-Dämmung brennbar und stellt somit praktisch einen Brennstoff dar. Eine Studie der Universität Mailand ergab, dass die bei Grenfell verwendeten Baumaterialien in Kombination aus brennbarer Kunststoff-Dämmung und Fassadenbekleidung in einem Gebäude mit ähnlichen Abmessungen in Summe einer Brandlast von etwa 30.000 Litern Benzin entspricht – wobei zwei Drittel dieser Brandlast von der Dämmung und ein Drittel von der Bekleidung stammen.

Darüber hinaus emittieren Kunststoff-Dämmstoffe bei Verbrennung giftige Rauchgase. Professor David Purser, Sachverständiger bei der Grenfell-Untersuchung, beschrieb die Dämmung als „Hauptquelle für Rauchpartikel, Kohlenmonoxid und Cyanwasserstoff“ während des „zuerst auftretenden Brandes“ an der Fassade des Grenfell Towers. Giftige Rauchgase sind extrem gefährlich und für mehr als die Hälfte der Opfer von Gebäudebränden im Vereinigten Königreich ursächlich. Laut Professor Purser „haben sie wahrscheinlich zu schweren Schäden und zum Tod von Bewohnern beigetragen“.

Wie hätte das Ergebnis bei Verwendung von nicht brennbaren Dämmstoffen aussehen können? Internationale Erfahrungen zeigen, dass Brände in Hochhäusern bei Einsatz der Kombination aus nicht brennbaren Dämmstoffen und brennbarer Bekleidung weitaus weniger verheerende Folgen haben. Brände am Lacrosse Tower in Melbourne und am Polat Hochhaus in Istanbul zeigen, dass nicht brennbare Dämmstoffe zum Schutz eines Gebäudes während eines Fassadenbrandes eine Rolle spielen. Auch wenn diese Hochhäuser äußerlich beschädigt wurden, kamen keine Menschen ums Leben und die Gebäude konnten sogar renoviert werden.

Wäre der Grenfell Tower mit einer nicht brennbaren Dämmung ausgestattet gewesen, hätte sich der Brand in weitaus geringerem Maße ausgeweitet, wodurch sich das Risiko von Sekundärbränden aufgrund der reduzierten Brandlast verringert hätte. Zudem wäre beim Brand deutlich weniger giftiger Rauch ausgestoßen worden. Die Verwendung nicht brennbarer Dämmstoffe hätte daher eine ganz erhebliche Bedeutung für den Brandverlauf gehabt. Man kann zudem davon ausgehen, dass die Bewohner deutlich bessere Fluchtmöglichkeiten gehabt hätten.

All dies muss im Kontext eines nicht funktionierenden Systems gesehen werden. Die Grenfell-Untersuchung hat schockierende Beweise dafür aufgedeckt, dass Hersteller von brennbaren Dämmstoffen Proben für Tests gefälscht haben, indem sie diese vor der Brandprüfung mit zusätzlichen feuerhemmenden Chemikalien behandelt oder in anderer Weise die Tests manipuliert haben. So ergab beispielsweise eine Zeugenaussage bei der Untersuchung, dass Testabläufe manipuliert wurden, damit brennbare Produkte Brandtests bestehen konnten. Die Hersteller haben auf diese Weise bereits jahrelang vor Grenfell ihre Produkte fälschlicherweise als konform zu den Bauvorschriften deklariert. Dazu gehören Dämmprodukte, die am Grenfell Tower verwendet wurden, wobei Zeugen aus den betroffenen Unternehmen zugeben, dass die Tests bewusst entwickelt wurden, um die Möglichkeit zum Verkauf brennbarer Produkte an Hochhäusern zu erlangen, obwohl sie nicht als sicher für diesen Anwendungsbereich angesehen wurden, und dass die getesteten Dämmstoffe nicht dieselben waren wie die an Kunden verkauften.

Die britische Regierung hat mutige Schritte unternommen, um die Verwendung brennbarer Materialien an Wohngebäuden mit einer Höhe von mehr als 18 Metern zu verbieten. Es war richtig, dies zu tun, aber sie sollte die Öffentlichkeit noch stärker schützen, indem sie das Verbot auf alle Hochhäuser und Hochrisikogebäude ausdehnt. Jetzt ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Regierung der öffentlichen Sicherheit Vorrang einräumt und sich nicht dem Druck beugt, zu einer Version des alten Systems zurückzukehren, die brennbare Materialien an diesen Gebäuden zulässt. Warum sollte man dieses Risiko eingehen?

VERFASST VON

Darryl Matthews

Darryl Matthews ist Managing Director von ROCKWOOL Ltd , Bridgend, UK